DIE RISIKEN DER SCHEINSELBSTÄNDIGKEIT: ERKENNEN UND VERMEIDEN

  • 27.12.2024
  • Thomas Kost
  • Lesezeit: ca. 4 min
  • Thema:

Der schmale Grat zwischen Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit

Kaum ein Monat vergeht, in dem kein Urteil von einem Sozialgericht zum Thema Scheinselbständigkeit ergeht. Während früher hauptsächlich die Baubranche und die Pflege betroffen waren, sind heute nahezu alle Berufsgruppen involviert. Aktuelle Beispiele hierfür sind:

  • Fitnesstrainer: LSG Bayern, Beschluss v. 18.8.2023, L 7 BA 72/23 B ER
  • Ärztliche Praxisvertretung: BSG, Urteil v. 12.12.2023 - B 12 R 10/21 R
  • Buchführungshelfer: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 6.3.2024, L 2/1 BA 84/23
  • Reitlehrer: LSG Hessen, Urteil v. 2.5.2024 - L 1 BA 22/23
  • Ärzte in Erstaufnahmeeinrichtungen und Organisation von Gesundheitstagen: BSG, Urteile v. 12.6.2024 - B 12 BA 2/22 R und B 12 BA 8/22 R.

Viele Unternehmen gehen bei der Vergabe von Aufträgen oft zu Unrecht von freien Auftragsverhältnissen aus. Trotz umfangreicher Kasuistik ist die korrekte Einstufung häufig schwierig. Bei falscher Einstufung bestehen insbesondere für die Auftraggeber empfindliche, teilweise sogar existenzbedrohende Risiken beitragsrechtlicher, ordnungsrechtlicher und strafrechtlicher Art.

Was ist Scheinselbständigkeit?

Scheinselbständig sind Auftragnehmer, die nicht wie Arbeitnehmer gemeldet oder abgerechnet wurden, jedoch nach Beurteilung der Deutschen Rentenversicherung oder des Sozialgerichts abhängig beschäftigt sind.

Voraussetzung für die Versicherungspflicht von Arbeitnehmern in der Sozialversicherung nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV ist einerseits der Bezug von Arbeitsentgelt (§ 14 SGB IV) und andererseits das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Gesetzlich definiert ist nur die Beschäftigung (§ 7 Abs. 1 SGB IV). Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

In der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sind Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt werden, regelmäßig versicherungspflichtig. Im Gegensatz dazu sind selbständig Tätige in der Regel nicht versicherungs- und damit auch nicht beitragspflichtig und auch nicht als solche leistungsberechtigt. Zudem tragen bei versicherungspflichtig Beschäftigten Arbeitgeber und Beschäftigter die Beiträge gemeinsam, während versicherungspflichtige Selbstständige die Beiträge grundsätzlich allein zu tragen haben.

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Daher ist es notwendig, zwischen einer Beschäftigung – insbesondere als Arbeitnehmer – und einer selbstständigen Tätigkeit klar zu unterscheiden. Der Auftraggeber muss – wie auch bei seinen angestellten Mitarbeitern – prüfen, ob ein Auftragnehmer bei ihm abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist. Ist ein Auftraggeber der Ansicht, dass im konkreten Einzelfall keine abhängige Beschäftigung vorliegt, muss er zwar formal nichts weiter veranlassen. Allerdings geht er das Risiko ein, dass bei einer Überprüfung durch einen Versicherungsträger oder die Finanzbehörde der Sachverhalt anders bewertet wird, was zu einer Nachzahlung von Beiträgen und ggfs. weiteren Konsequenzen führen kann.

Indizien für und gegen Scheinselbständigkeit

Das Bundessozialgericht hat zur Konkretisierung des Begriffs der abhängigen Beschäftigung im Laufe der Zeit zahlreiche Indizien genannt, die für oder gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen. Für eine abhängige Beschäftigung sprechen:

  • Eingliederung in den Betrieb
  • Weisungsgebundenheit
  • Fremdbestimmtheit der Tätigkeit
  • Keine Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft
  • Keine im Wesentlichen freigestaltete Arbeitstätigkeit
  • Keine eigene Betriebsstätte
  • Keine Tragung eines Unternehmerrisikos
  • Vereinbarung von Urlaub
  • Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Demgegenüber ist jemand selbständig, der unternehmerische Entscheidungsfreiheit genießt, ein unternehmerisches Risiko trägt sowie unternehmerische Chancen wahrnehmen und hierfür Eigenwerbung betreiben kann. Zu typischen Merkmalen unternehmerischen Handelns gehört unter anderem, dass Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung – statt im Namen und auf Rechnung des Auftraggebers – erbracht werden sowie die eigenständige Entscheidung über:

  • Honorar bzw. Vergütung
  • Einkaufs- und Verkaufspreise
  • Einsatz von Kapital, Maschinen und sonstiger eigener Betriebsmittel
  • Art und Umfang der Kundenakquisition
  • Warenbezug
  • Einstellung von Personal
  • Einsatz von eigenem Personal anstelle der persönlichen Leistungserbringung
  • Art und Umfang von Werbemaßnahmen für das eigene Unternehmen: z. B. Benutzung eigener Briefköpfe
  • Zahlungsweise der Kunden: z. B. sofortige Barzahlung, Stundungsmöglichkeit, Einräumung von Rabatten

Konsequenzen für Auftraggeber und Auftragnehmer

Die Einstufung eines Auftragnehmers als scheinselbständig kann weitreichende rechtliche und finanzielle Folgen sowohl für den Auftraggeber als auch den Auftragnehmer haben. Diese Auswirkungen betreffen mehrere Rechtsbereiche:

Sozialversicherungsrecht

Für den Arbeitgeber kann die Feststellung der Scheinselbständigkeit zu erheblichen Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen führen, gegebenenfalls für mehrere Jahre rückwirkend. Zudem entstehen Säumniszuschläge auf die nicht gezahlten Beiträge. Es stellt sich weiterhin die Frage, ob der Arbeitgeber zumindest teilweise einen Rückgriffanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer hat.

Arbeitsrecht

Wird ein Auftragnehmer als Arbeitnehmer eingestuft, genießt er arbeitsrechtlichen Schutz. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer beispielsweise eine Kündigungsschutzklage gegen den Arbeitgeber erheben und Ansprüche auf Urlaub oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geltend machen könnte.

Steuerrecht

Steuerrechtlich führt die Scheinselbständigkeit zur Umqualifizierung der Einkunftsart. Der Arbeitnehmer erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG), was dazu führt, dass das Entgelt lohnsteuerpflichtig wird. Der Arbeitgeber haftet für die zu Unrecht nicht einbehaltene und daher auch nicht angemeldete und nicht abgeführte Lohnsteuer nach § 42d EStG. Auf ein Verschulden kommt es hierbei nicht an.

Aus einer vom Scheinselbständigen gestellten Rechnung hat der Arbeitgeber keinen Vorsteuerabzug, während der Arbeitnehmer die zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer weiterhin schuldet. Die Umqualifizierung führt gegebenenfalls auch dazu, dass der Arbeitnehmer keine Gewerbesteuer mehr zahlen muss. Gewerbesteuerfestsetzungen der Vorjahre könnten aber durch Eintritt der Rechtskraft nicht mehr änderbar sein.

Strafrecht

Strafrechtlich kann Scheinselbständigkeit zu Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und zu einer Strafbarkeit wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) führen. Eine darauf beruhende strafrechtliche Verurteilung könnte dazu führen, dass der Arbeitgeber nicht mehr Geschäftsführer bzw. Vorstand sein darf (sogenannte Inhabilität: §§ 6 Abs. 2 Nr. 3 e) GmbHG, 76 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 a) AktG).

Das Statusfeststellungsverfahren: Rechtssicherheit durch Klarheit

Das Statusfeststellungsverfahren bietet eine schnelle und unkomplizierte Möglichkeit zur Klärung der Statusfrage. Nach § 7a SGB IV kann bei der Deutschen Rentenversicherung Bund eine Entscheidung beantragt werden, ob bei einem Auftragsverhältnis eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit vorliegt. Seit dem 01.04.2022 wird hierbei nur noch über den Erwerbsstatus entschieden und nicht mehr über die Frage der Versicherungspflicht, da diese ggf. aus anderen Gründen verneint werden muss (z. B. wegen Geringfügigkeit oder Höhe des regelmäßigen Jahresarbeitsentgeltes). Über die Versicherungspflicht entscheidet dann im Anschluss die Einzugsstelle (§ 28h Abs. 2 SGB IV) oder die Minijob-Zentrale.

Das Statusfeststellungsverfahren bietet den Vorteil, dass Unternehmen vor Nachforderungen der Sozialbeiträge geschützt sind, wenn die Überprüfung innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit erfolgt. In diesem Fall drohen jedenfalls für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung der DRV Bund keine Sozialversicherungsbeiträge.

Zudem haben Widerspruch und Klage eines Beteiligten gegen eine Statusentscheidung der Deutschen Rentenversicherung Bund aufschiebende Wirkung nach § 7a Abs. 6 Satz 1 SGB IV. Von den angefochtenen Entscheidungen gehen somit zunächst keine Rechtswirkungen aus. Ein Antrag auf Statusfeststellung kann auch als Prognoseentscheidung bereits vor Aufnahme der Tätigkeit gestellt werden.

Zusammenfassung und Fazit: Vorsicht ist besser als Nachsicht.

Scheinselbständigkeit ist ein komplexes und vielschichtiges Thema, das sowohl für Auftraggeber als auch für Auftragnehmer erhebliche rechtliche und finanzielle Risiken birgt. Die Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung ist oft nicht einfach und bedarf einer sorgfältigen Prüfung anhand verschiedener Indizien.

Für den Arbeitgeber können falsche Einstufungen zu hohen Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern und zu möglichen strafrechtlichen Konsequenzen führen. Auch arbeitsrechtliche Ansprüche des Auftragnehmers können erhebliche Belastungen für den Arbeitgeber darstellen.

Das Statusfeststellungsverfahren bietet eine wertvolle Möglichkeit, die Statusfrage schnell und unkompliziert zu klären und so Rechtssicherheit zu erlangen. Durch eine frühzeitige und sorgfältige Prüfung des Erwerbsstatus können Unternehmen das Risiko von Nachforderungen und rechtlichen Auseinandersetzungen minimieren.

Insgesamt gilt: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Eine genaue Prüfung und gegebenenfalls die Einholung fachkundiger Beratung sind unerlässlich, um die Risiken der Scheinselbständigkeit zu vermeiden und rechtliche Sicherheit zu gewährleisten. Sprechen Sie uns an, sofern Sie Zweifel haben, ob bei Ihnen eine Scheinselbständigkeit vorliegt oder wenn Sie Hilfe bei Statusfeststellungsverfahren, Sozialversicherungs- oder Betriebsprüfungen benötigen.

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Thomas Kost
Thomas Kost
Rechtsanwalt, Steuerberater